CSA Interview Reihe – Christiane zu Salm

Frau zu Salm, Sie blicken zurück auf eine erfolgreiche Karriere in der internationalen Medienbranche, waren 1998 die erste Frau an der Spitze eines Fernsehsenders in Deutschland. War es schwierig, sich in der Branche zu behaupten bzw. wie haben Sie es geschafft, in der Branche so erfolgreich zu sein?

Das war damals wirklich Neuland im deutschen Fernsehtopmanagement – eine Frau! Anfangs war ich unsicher und natürlich auch etwas naiv, weil mir jede Erfahrung als Führungskraft fehlte. Ich musste in diese Rolle erst hineinwachsen, und habe auf dem Weg dahin viel gelernt – vor allem von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der Rat eines Freundes aus der Musikbranche half mir: Du hast Carte Blanche, das heißt: du kannst machen, was du willst – denn den Erfolg traut dir eh keiner zu. In der Tat war das eine viel einfachere Ausgangsposition, als wenn man unter dem Druck steht, sofort hohe Leistungserwartungen zu erfüllen.

Dann habe ich gelernt, mich mit richtig starken Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu umgeben, die ihre Sache besser können als ich. Meine eigenen Schwächen als CEO auf horizontaler Ebene auszugleichen, anstatt sie vertikal nach unten zu delegieren. Anders als im Team, das auf ein gemeinsam erarbeitetes und im ganzen Unternehmen akzeptiertes Ziel zusteuert, geht es nicht, davon bin ich fest überzeugt. Diese Verankerung war bei MTV, 9Live und sonnenklar TV besonders wichtig, weil wir von außen starken Gegenwind bekamen. Erst als ich den Mut hatte, zu meinen Entscheidungen zu stehen und sie zu begründen, kam der Erfolg.

Sie haben der Medienbranche den Rücken gekehrt und sich zur Sterbebegleiterin ausbilden lassen. Welche „Werkzeuge“ benötigt man, um sich neu zu erfinden und persönliche Krisen in Stärke zu wandeln?

Nach dem aktiven Management habe ich mit Aufsichtsratsarbeit begonnen, darunter 12 Jahre lang bei der Ringier Medien AG in der Schweiz. Ich bekam Kinder, und trotzdem befand ich mich in einem unausgefüllten Loch. In einer persönlichen Krise. Obwohl ich doch alles hatte, was man sich nur wünschen kann! Rückblickend bin ich dem Leben dankbar, aber es war nicht leicht. Aufgrund meiner Biografie – mein kleiner Bruder starb vor meinen Augen, als ich Kind war, später machte ich eine Nahtoderfahrung unter einer Lawine – begann ich eine Ausbildung zur Sterbebegleiterin.

Was ich dort und von den Sterbenden gelernt habe, hat mir Werkzeuge an die Hand gegeben, mich neu zu erfinden. Herauszufinden, was einem wirklich wichtig ist, indem man im vorweggenommenen Rückblick seinen eigenen Nachruf schreibt. Nach welchen Werten man eigentlich lebt, und ob diese in der jeweiligen Lebensphase noch gültig sind, und falls nicht, sie neu zu definieren. Und, am allerwichtigsten: das echte Zuhören. Sich selbst und anderen. Das war für mich ein Schlüssel.

Mit diesen Werkzeugen kann man aus einer persönlichen Krise wieder Stärke entwickeln, und sich immer wieder neu erfinden. Warum? Weil man auf diesem Weg der Selbsterkundung lernt, den ganzen Menschen zu sehen. In sich und in anderen.

Sie sind erfolgreiche Unternehmerin und spezialisiert auf ethische Fragen. Sind Nachhaltigkeit und Wachstum denn überhaupt in Einklang zu bringen?

Ja, das ist möglich. Dabei muss das Ziel des Wachstums an erster Stelle stehen, alles andere ist naive Augenwischerei. Wir können Wachstum aber konsequent so gestalten, dass es nachhaltig, ressourcenschonend und vor allem innovativ ist. Gerade im Zusammenhang mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz geht da viel. Zum Beispiel, welche Innovationen möglich sind dank gewonnener Produktivitätssteigerung.

Allerdings müssen wir vorher wieder lernen, was uns abhandengekommen ist: nämlich die Fähigkeit, zwischen Wichtig und Unwichtig zu unterscheiden. Wir leben im Zeitalter der Klimakatastrophe, um uns herum brechen Kriege mit schwerwiegenden Folgen für insbesondere für unsere Wirtschaft aus, die Welt hat große Probleme, die nach großen Lösungen schreien – und wir diskutieren bierernst darüber, ob man eine genderneutrale Toilette im öffentlichen Raum zur gesetzlichen Pflicht machen sollte. Wir führen unerbittliche Gerichtsverfahren mit dem Nachbarn, weil dessen Gartenhecke 2,5 cm höher ist als erlaubt….Sie verstehen, was ich meine. Dieses Phänomen gibt es genauso in Unternehmen.

Wir müssen also zunächst einmal begreifen, dass wir nicht alles haben können. Viele Studien zeigen auf, dass, sobald es an den Geldbeutel geht, ein klimafreundliches, teureres Produkt nicht mehr gekauft wird. Das ist nicht verwerflich, sondern menschlich. Die Politik kann zurzeit lernen, was Unternehmen schon immer wissen:  dass dem Menschen nichts aufoktroyiert werden kann, wovon er nicht überzeugt ist. Also müssen wir unsere Ziele neu priorisieren. In meinen Vorträgen spreche ich darüber, wie diese Priorisierung konkret Wachstum mit ethischen Zielen wie Nachhaltigkeit vereinbaren kann. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass wir in diesen immer komplizierteren und desorientierenden Zeiten nur dann noch tragfähige Lösungen finden werden, wenn wir die Zukunft vom ganzen Menschen ausgehend denken.

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